Soundtrack der Woche #65
Loyle Carner ist (nicht nur) meiner Meinung nach der aktuell interessanteste Hip-Hop Künstler. Vor einiger Zeit ist sein Debütalbum Yesterday Is Gone erschienen. Auf dem Cover des Albums prangt ein Schwarzweißfoto mit ihm, seiner erweiterten Familie, also Freunden, einer Lehrerin, dem Produzenten und einem Hund. Das zieht sich dann so durch das Album, als roter Faden – Familie und Freunde.
So etwas scheint in Deutschland zurzeit absolut unmöglich. Die Spezialitäten des deutschen Raps liegen anscheinend zumindest zu großen Teilen auch in antisemitischer, gewaltverherrlichender und frauenfeindlicher Sprache. Wenn also in Deutschland gerade Herr Kollegah offenbart, wie leer sein Hirn tatsächlich wabert, sodass man es erstmals (?) in einem Interview auf Youtube miterleben konnte, zeigt Benjamin Coyle-Larner, was Hip-Hop zum Glück auch sein kann: emotional, wertig, intelligent. Die großen Erzähler des Hip-Hop stammen derzeit aus England.
Hintergrund: Weil Jan Böhmermann sich nicht traute, Antisemitismus-Vorwürfe mit Kollegah bei sich in der Sendung zu besprechen, es aber dennoch spannend fand, sourcte er das Unterfangen an Kat Kaufmann und Shayak Shapira aus. Das Ergebnis wird hier grandios treffend zusammengefasst.
Loyle Carner präsentiert fast mehr Poetry Slam, als Musik. Er spricht mit Offenheit über Vergangenheit, so kann man sich leicht identifizieren. Probleme mit der Familie kennen viele von uns. Er braucht nicht auf dicke Hose machen und versteckt sich nicht hinter stumpfen Posen.
Jazzige Lässigkeit beschreibt seinen warmen Sound durch echte Instrumente und den Verzicht auf Autotune oder ähnliche Effekte. Gitarre, Miles-Davis-Trompete und Sax, dazu Rimshots und Knack-Bassdrum, butterweiche Bässe und Gospel-Samples, die schon Dr. Dre bemühte. Gemein mit mir ist ihm seine Begeisterung fürs Kochen, das ihn beruhigt. Er litt lange an ADHS. Kochen hilft ihm, ruhiger zu werden, es hat etwas Meditatives.
Loyle Carner kann Sprache als Neuanfang verstehen und Familie als Zukunftsperspektive begreifen. Die Katharsis dieses Londoner Rappers ist faszinierend – und verstrahlt Hoffnung. Für mich neu für zeitgenössischen Hip-Hop ist der erstaunlich präzise Flow, welcher Füllwörter komplett vermeidet. Carner beweist ein feinsinniges Gespür für Sprache, das nicht nur hilft, zutiefst sensibilisiert von persönlichen Schicksalswegen zu berichten, sondern auch eine retrospektive Erzählform eröffnet, die einem Hoffnung zuspricht – Yesterday Is Gone. Es geht nicht um die großen Probleme der Menschheit (hier unterscheidet er sich vielleicht auch zur Kollegin Kate Tempest). Aber es geht um den innersten Zusammenhalt, die kleinen Bewegungen.
„So keep your mouth closed shut / Eyes wide open when that doubt rose up / ‚Cause if that drought shows nothing but the clouds hold nothing but the sound“
So ehrlich wie er macht es kaum jemand. Er spricht über die Unterdrückten, über seine Vorbilder in No CD, seinen verstorbenen Stiefvater, den er als sozialen Vater lieben lernte, Cantona, und Carner erscheint dabei reflektiert.
Wenn Loyle Carner Bände spricht und man ihm zuhört, dann kann die Welt eine Schöne sein.
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