Je schlimmer, desto besser – über Nahost
Je schlimmer, desto besser – über Nahost
Beobachtungen
Es gibt einen Konflikt, der existiert gar nicht mehr – für uns. Würde nicht der lächerliche Präsident der Vereinigten Staaten dafür Sorge getragen haben, dass wir zumindest einen Augenblick wieder auf einen Teufelskreis der Gewalt blicken.
Israelis und Palästinenser sind nach wie vor gefangen in einer Krise, die zermürbt und die stets mit Emotionen befeuert wird. Es gab eine Zeit, da hat der Konflikt das Interesse an Nahost dominiert. Heute findet der Streit zwischen Israelis und Palästinensern nicht mehr im Zentrum statt, sondern wird in der Peripherie ausgetragen. Im Zentrum tobt mittlerweile selbst nicht mehr Syrien, sondern der Terror, der es nach Europa schafft. Dass man dort zur Angelegenheit der Peripherie geworden ist, möchte nur keine der beiden Seiten zugeben. Beide Seiten wetteifern seit Jahrzehnten bereits, wer wohl am meisten gelitten hat und verlieren dabei das Leid des jeweils anderen gänzlich aus dem Auge. Es wird nach Schuld und Unschuld, dem größeren Schurken, dem größten Leid gesucht und Gerechtigkeit gefordert. Ob die Organisationen vor Ort noch an Frieden interessiert sind? Die Menschen, ja! Aber die profitierenden Organisationen, eine rechten Politikerkaste in Israel und mindestens eine radikal islamistische Terrororganisation in Palästina, man mag es bezweifeln.
Es scheint so, als würden beide Konfliktparteien mit ihrer sturen Aussichtslosigkeit ihre jeweils loyalen Partner (in West wie Ost) zermürben und anöden. Im Westen wird man von der imperialistischen, unnachgiebigen Arroganz eines Militärstaates abgestoßen und in der arabischen Welt macht sich Enttäuschung über die gespaltenen und radikalen Palästinenser breit.
Auf beiden Seiten fragen sich Partner wie die USA, Deutschland, Iran und Syrien, wie ein Konflikt, der so endlos wie fruchtlos ist, derartig raumgreifend im Nahen Osten ausgebreitet werden kann. Er wird mehr emotional denn politisch rational befeuert. Emotional befeuert soll heißen, dass auf beiden Seiten ein begrenzter Konflikt mit relativ wenig Blutvergießen symbolisch zu einem Ereignis aufgeblasen wird, das mit dem vergleichbar sein soll, was im Kongo, im Irak, in Nigeria geschieht und geschehen ist.
Drumherum geht es um mehr, könnte man meinen. Da sollten die beiden Streithähne doch mal halblang machen. Wenn Afghanistan, der Irak, Syrien und Jemen implodieren, der Terrorismus weiter zunimmt, Umweltzerstörung um sich greift, Millionen Heimatlose zu überleben versuchen und zu allem Übel auch noch neue Akteure aus der Asche der verbrannten Erde aufsteigen und Grenzen übergreifend die Region destabilisieren, wie zum Beispiel der IS.
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Israels Opferstatus ist als Besatzungsmacht schwierig aufrecht zu erhalten, angesichts der martialischen Militärmaschine, den endlos expandierenden Siedlungen und seiner hochentwickelten Wirtschaft. Nach dem zweiten Weltkrieg und der Shoa hatte Israel diesbezüglich vielleicht ein unangefochtenes moralisches Privileg gegenüber dem Westen inne. Das schwindet nun mit dem Zuwachs an neuen Gräueltaten weltweit, die ebenfalls Maßstäbe der Brutalität setzen.
Nach dem Verständnis der Zionisten war das jüdische Volk nie auf die geographischen Grenzen seines damals neuen Staates begrenzt und so wurde Expansion als moralisch legitimer Bedarf nach Lebensraum erklärt. Ist er das?
Aber auch arabische Vertreter beeilen sich, durch polemische Übertreibung vergangene Ungerechtigkeiten zu kultivieren und bemühen sich um den Opferstatus ihrer Klienten. Bitter ironisch, dass die Araber über den Nahen Osten hinaus heute den Platz der Juden als Ausgestoßene eingenommen haben? Araber leben heute in elenden Ghettos, sind Angriffen der Medien und kultureller Erniedrigung ausgesetzt, müssen sich rechtfertigen für ihren Glauben, den Islam. Sie werden mit Schurkenstaaten und Terror assoziiert.
Selbstverständlich und bedauernswerterweise gibt es auch noch Antisemitismus. Er beruht wohl auf denselben Mythen und Irrationalitäten wie in vergangenen Zeiten. Dagegen steht aber heute die imperialistische Politik eines machtvollen Staates mit ihren antiarabischen Vorurteilen. Unhaltbarer Antisemitismus wird so des Leichteren mal mit legitimer Kritik an der Politik Israels vermischt. Von dieser Mixtur profitiert Israel mehr als die Palästinenser. Sie rechtfertigt scheinbar das Bedürfnis nach territorialer Expansion.
Zionistische und islamische Extremisten teilen den selben Wunsch, den Teufelskreis der Gewalt am Laufen zu halten und Aussichten auf Verhandlungen zu sabotieren. Beide haben verstanden, dass ihre Macht so weit schrumpfen wird, wie die Möglichkeiten, den Konflikt zu lösen, zunehmen. Typisch Extremismus, basiert ihre Politik auf je schlimmer, desto besser. Letztlich haben sie beide mehr die Organisation, also ihre mögliche Ein-, Zwei- Dreistaatenlösung, als die Bürger als Menschen im Blick.
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Bedauernswerterweise klingt das jetzt zum Schluss sehr banal: Die einzige Lösung kann ein nüchternes Nachdenken über politische Alternativen, eine freie Kritik an allen ideologischen Parolen und der Verzicht auf rein emotionale Investitionen sein. Aber das passiert leider nicht.
P.S. Wen das Thema interssiert, dem sei als Folge- oder Grundlagenliteratur das bald erscheinende Heft „Edition LE MONDE diplomatique No.21 ‚Israel und Palästina. Umkämpft, besetzt, verklärt‘ 112 farbige Seiten, broschiert. Erscheinungsdatum: 11.04.2017“ empfohlen.
Autor
Felix
Gründer | Bayreuth