Grautöne: Wohliges Brummen
Grautöne
Wohliges Brummen
Oh mein Gott, wo fahre ich denn hin? Nur skurrile Gestalten bei mir im Zugabteil. Der Tscheche mir gegenüber telefoniert so energisch, dass er mir im Rhythmus seiner Sprache gegen das Schienbein tritt, worauf er das Gespräch in seiner Muttersprache unterbricht und sich in perfektem Deutsch bei mir entschuldigt. Dann öffnet er eine Dose Mixery, irgendwas mit Energy, so riecht es zumindest, und genehmigt sich einen kräftigen Schluck mit anschließendem „Ahhh“. Auf mein Niesen ist er der einzige, der mir Gesundheit wünscht. Um das Klischee des dicken biertrinkenden Mannes allein auf Reisen zu komplettieren, liest er nun in einem Hardware Magazin über Platinen. Er scheint glücklich zu sein, hat er doch eben sein frisch gekauftes, noch verpacktes Smartphone kurz aus seinem schwarzen Rucksack gekramt, kurz geseufzt, es angelächelt und es dann verstaut.
Zum Ausgleich meines ICEs eben, der Nürnberg 15 Minuten zu früh erreichte – die Durchsage sorgte für großes Erstaunen, das habe es noch nie gegeben, es sei ein Wunder geschehen – fährt mein Bummelzug fünf Minuten später ab, wie der Schaffner durch die schnorrenden Lautsprecher der Regionalbahn verkündet. Der Tscheche quittiert das mit einem ärgerlichen Stöhnen und versinkt wieder in seinem Technik Magazin.
Wohliges Brummen. Mit einem Zischen verschließen sich die Türen und der Zug setzt sich in Bewegung und rast bald waghalsig über die Gleise durch Oberfranken und das Fichtelgebirge.
Links von mir hält sich eine Frau mit blondem Haar an ihrem Mini-Prosecco fest, als würde sie Halt suchen. Dann verlässt sie das Zugabteil. Mir gegenüber bewegt sich wieder etwas. Das zweite Dosenbier ist bereits leer und wird zusammengedrückt in den, wie immer in den Zügen, viel zu kleinen Abfalleimer gehämmert. Ich überlege, ob ich ihn auf das Pfand aufmerksam machen sollte. Ich lasse es bleiben.
Der Junge schräg gegenüber flüchtet abwechselnd mit Ipad, Handy oder Kopfhörern vor dem Gespräch mit seinen Großeltern. Eigentlich hängen alle Menschen unter 60 Jahren, mit Ausnahme des Tschechen mir gegenüber, an Bildschirmen fest. Sie sind sprachlos, wischen, tippen, lesen. Es scheint ihnen eisblau ins fahle Gesicht. Es ist Mitte April. Dass es draußen binnen 15 Minuten gehagelt, geregnet und die Sonne geschienen hat, haben sie nicht mitbekommen.
Ich tippe den letzten Satz, blicke aus dem Fenster, genieße das Fauchen des Dieselmotors und erfreue mich an der Langweile, die sich vor mir erstreckt. Bald komme ich in Bayreuth an.
Grautöne
die Kolumne von
Felix
Gründer | Bayreuth