SdW #72 Sam Fender – Play God

SdW #72 Sam Fender – Play God

SAM FENDER - PLAY GOD

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Soundtrack der Woche #72
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“Fender’s acerbic delivery feels particularly relevant in the context of modern political upheaval and inequality.” – The Line of Best Fit

“Screaming through a megaphone: get your hands of the middle east”

“No matter who you are, or where you’ve been, he is watching from the screen. Keeps a keen eye on the inbetween – from the people to the queen.”

Play God von Sam Fender erzählt zwei Geschichten.

Die Geschichte eines entdeckten Talents. Und so kam es: Unterstützt bei der Produktion wird Sam nun neben seinem Kumpel Bramwell Bronte auch von Barny Barnicott. Dieser betreibt in der Nähe von London ein legendäres Studio, ist verantwortlich für die Aufnahmen der Band Arctic Monkeys und mischt nun auch Sam Fender ab. Das Musikvideo wurde von Größen der Szene verantwortet, die auch für Tame Impala, Royal Blood, Metronomy und Arcade Fire arbeiten. Sam Fender ist der vorgelebte American Dream der Musikindustrie. Beide Eltern sind Musiker, der Vater Sänger, sein Bruder auch musikalisch unterwegs, mit acht Jahren lernt Sam Gitarre spielen und mit 16 Jahren verlässt er die Schule, um im Gartenhaus und im Zimmer seiner Mutter mit Freunden Musik zu machen. Er spielt erste Gigs in einem alten Pub und –zack- wird von keinem Geringeren als dem Manager von Ben Howard entdeckt. Den Rest ist bekannt.

Außerdem erzählt Play God eine Dystopie. Wer spielt hier Gott und glaubt Sam an Gott? Sam, der heute 21 Jahre alt ist, schreibt leidenschaftlich schön über Desillusionierung, Liebe, raue Beziehungen und Herausforderungen unserer Generation. Dabei klingt er fast wütend und resigniert. Wer wagt es hier eigentlich, Gott zu spielen? Play God beschreibt unverfälscht und intim eine Dystopie, die heute gar nicht mehr so weit von der Realität entfernt scheint. Es geht um Nahost, totale Überwachung, totalitäre Systeme, die Monotonie der Anzugträgerwelt und den alltäglichen hustle and bustle. Im Schweinsgalopp durch das 21. Jahrhundert. Der Brite Fender geht in Richtung von Foals-esquer Power mit seinem bedrohlich wilden Midtempo- Debüt Play God. Er verbindet erfolgreich Rock- Elemente wie von Catfish and the Bottlemen mit einer souligen Stimme, die an Matt Corby oder Hozier erinnert.

Sam Fender konfrontiert Indierock mit sozialem Bewusstsein.

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Autor

Felix

Gründer | Bayreuth

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Grautöne: Wohliges Brummen

Grautöne: Wohliges Brummen

Grautöne
Wohliges Brummen

 

Oh mein Gott, wo fahre ich denn hin? Nur skurrile Gestalten bei mir im Zugabteil. Der Tscheche mir gegenüber telefoniert so energisch, dass er mir im Rhythmus seiner Sprache gegen das Schienbein tritt, worauf er das Gespräch in seiner Muttersprache unterbricht und sich in perfektem Deutsch bei mir entschuldigt. Dann öffnet er eine Dose Mixery, irgendwas mit Energy, so riecht es zumindest, und genehmigt sich einen kräftigen Schluck mit anschließendem „Ahhh“. Auf mein Niesen ist er der einzige, der mir Gesundheit wünscht. Um das Klischee des dicken biertrinkenden Mannes allein auf Reisen zu komplettieren, liest er nun in einem Hardware Magazin über Platinen. Er scheint glücklich zu sein, hat er doch eben sein frisch gekauftes, noch verpacktes Smartphone kurz aus seinem schwarzen Rucksack gekramt, kurz geseufzt, es angelächelt und es dann verstaut.

Zum Ausgleich meines ICEs eben, der Nürnberg 15 Minuten zu früh erreichte – die Durchsage sorgte für großes Erstaunen, das habe es noch nie gegeben, es sei ein Wunder geschehen – fährt mein Bummelzug fünf Minuten später ab, wie der Schaffner durch die schnorrenden Lautsprecher der Regionalbahn verkündet. Der Tscheche quittiert das mit einem ärgerlichen Stöhnen und versinkt wieder in seinem Technik Magazin.

Wohliges Brummen. Mit einem Zischen verschließen sich die Türen und der Zug setzt sich in Bewegung und rast bald waghalsig über die Gleise durch Oberfranken und das Fichtelgebirge.

Links von mir hält sich eine Frau mit blondem Haar an ihrem Mini-Prosecco fest, als würde sie Halt suchen. Dann verlässt sie das Zugabteil. Mir gegenüber bewegt sich wieder etwas. Das zweite Dosenbier ist bereits leer und wird zusammengedrückt in den, wie immer in den Zügen, viel zu kleinen Abfalleimer gehämmert. Ich überlege, ob ich ihn auf das Pfand aufmerksam machen sollte. Ich lasse es bleiben.

Der Junge schräg gegenüber flüchtet abwechselnd mit Ipad, Handy oder Kopfhörern vor dem Gespräch mit seinen Großeltern. Eigentlich hängen alle Menschen unter 60 Jahren, mit Ausnahme des Tschechen mir gegenüber, an Bildschirmen fest. Sie sind sprachlos, wischen, tippen, lesen. Es scheint ihnen eisblau ins fahle Gesicht. Es ist Mitte April. Dass es draußen binnen 15 Minuten gehagelt, geregnet und die Sonne geschienen hat, haben sie nicht mitbekommen.

Ich tippe den letzten Satz, blicke aus dem Fenster, genieße das Fauchen des Dieselmotors und erfreue mich an der Langweile, die sich vor mir erstreckt. Bald komme ich in Bayreuth an.

Grautöne

die Kolumne von

Felix

Gründer | Bayreuth

SdW #69 HVOB & Winston Marchall- Torrid Soul

SdW #69 HVOB & Winston Marchall- Torrid Soul

HVOB & WINSTON MARCHALL - TORRID SOUL

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Soundtrack der Woche #69

HVOB macht Musik an der Schwelle zwischen Extase und Trance. Musik, welche sowohl auf der Tanzfläche als auch auf dem Sonntagsspaziergang funktioniert. Zumindest galt das für die ersten beiden Alben HVOB und Trialog. Es sind Alben geladen mit druckvollen, melodischen und vor allem tanzbaren Deep House Sounds, begleitet von Her Voice Over Boys.

Letztes Jahr trudelte dann eine Mail von Mumford & Sons Mitglied Winston Marchall ein. Man traf sich im Studio und begann, zwei Musikwelten zu vereinen. Das Ergebnis: ein sieben Tracks enthaltendes Album, das sich doch recht deutlich von den beiden Vorgängern unterscheidet. Es ist dramatischer, weniger tanzbar, aber setzt mehr Akzente. Es ist keine typische Stil Vor Talent Deep House Produktion, wie es noch die beiden Alben davor waren.

Man muss sich also ein bisschen rein fummeln in dieses Album, bis man Perlen wie Torrid Soul oder The Blame Game zu schätzen weiß. Im Endeffekt sind es die dramatischen Momente, die das Album spannend machen und einen aus der Einöde des dahintrudelnden Deep House rausreißen.

Der teilweise Verlust der Tanzbarkeit ist der Preis, den sie für die Spannung zahlen. Ein guter Deal.

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SdW Playlist

Jan

Gründer | Karlsruhe

Digital Native, Alleskönner, Fahrradenthusiast und Musikliebhaber.

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SdW #68 Paradis – Toi et Moi

SdW #68 Paradis – Toi et Moi

PARADIS - TOI ET MOI

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Soundtrack der Woche #68

J’attendais là, en bas de chez toi

Jusqu’à ce qu’on voit le monde et que le temps ne compte pas

L’un contre l’autre, le mien seras l’autre

Si nos futurs se confondent et qu’ils se suivent ici et là

Mais je sens bien que je m’y prends mal que tout ça

C’est pas normal et que tu voudrais la version sous titrée

Laisse moi voir ce qu’il reste à voir

Emmènes moi vers le grand soir

Te souffler, si tu veux bien m’écouter

 

Un petit peu toi et moi

je sais plus, je sais pas

Un petit peu toi et moi

Et toi t’en penses quoi?

Un petit peu toi et moi

 

Un petit peu toi et moi

Et toi t’en penses quoi?

Un petit peu toi et moi

Un petit peu toi et moi

Super kitschiger Disko Chanson, aber irgendwie macht das Laune und Lust auf den Sommer!

Kennengelernt haben sich Simon Mény und Pierre Rousseau in einer der Pariser Sommernächte 2011. Das Elektro-Pop Duo Paradis präsentiert nun mit Toi et Moi, erschienen auf dem Album Recto Verso, sanfte, elegante Musik. Das Album beinhaltet 12 Tracks, bei denen Texturen zeitgenössichem House und Pop mit eigenen Melodien und Synths vermischt werden. Aufgenommen und gemastert wurde das Album mit Hilfe von Daft Punk.

Es gibt zwar potentiell Clubtaugliche Tracks auf dem Album, aber Toi et Moi geht mehr in Richtung Pop. Synthesizer Violinen, melodische Lines und eine geschlossenes Hi-Hat treiben den Track an. Da ist diese schimmernde absteigende Line, die in den Chorus begleitet, melancholisch und luxuriös zugleich. Sie trifft exakt die perfekte Balance von Chanson und Club. Französischer Chanson und zeitgenössische House Musik werden hier wild vermengt. 2016 erschien das erste Album Recto verso, an dem die beiden Pariser seit 2013 im Süden von Frankreich arbeiteten. Dem Soundtrack Toi et Moi scheint die Sonne ja auch förmlich aus dem Arsch, wie Bilderbuch sagen würde. Ein grooviger Sommer an der Cote d‘Azure, juste toi et moi?

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Autor

Felix

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Die Illusion einer heilen Welt

Die Illusion einer heilen Welt

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Die Illusion einer heilen Welt
mit Kate Tempest

Sophie Hunger sagt: „Kate Tempest ist eine Mischung aus einer epischen Hohepriesterin und einem rappenden Robin Hood. Sie hat eine Kirche errichtet ohne Gebote, deren Heiliger Geist die Sprache ist. Ihr Name ist ein Beat, ihre Mission ist Liebe, ihre Schüsse treffen alles.“.

Ein Übersetzungsversuch.

Es ist 2016. Europa hat verloren. Amerika hat versagt. London ist verloren. Wir sind Loser, aber wir fordern immer noch Siege. All das sind bedeutungslose Regeln und wir haben nichts von der Geschichte gelernt.

Wir Menschen leben als Untote. Bereits während seiner Lebenszeit stirbt man früher oder später. Benebelt vom Glanz der Straßen. Aber hey, schau, der Verkehr hört nicht auf zu fließen. Ein endloser Strom. Das System ist zu glitschig, um aufzuhören zu funktionieren. Es flutscht einfach zu gut. Das Geschäft läuft und abends spielen Bands in den Bars. Wir können uns ablenken von der Grausamkeit die unser Leben als Produkt ausscheidet. Außerdem gibt’s wieder two for one in den Clubs. Sinnlos scheint das Betrinken. Wir benebeln uns. Putzen uns raus. Lenken uns ab.

Wir haben ordentlich geschrubbt. Arbeit und Stress weggewaschen. Jetzt wollen wir alle etwas Exzess. Besser noch: eine night to remember, it’s gonna be legendary, die bald schon vergessen sein wird. Versunken in der Belanglosigkeit.

All das Blut, dass vergossen wurde für das Wachstum dieser Städte, die Körper die fielen, die Wurzeln, die wir ausgruben. So war das alles möglich. Ich sehe sie heute Nacht; meine beschmutzten Hände.

Verzweifelt. Hilferufe kann ich nicht beantworten, niemand kennt mich. Wir sind alle gleich langweilig. Arbeiten und arbeiten, so, dass wir alles sein können, was wir wollen. Nichts ist unmöglich. Dann tanzen wir die Strapazen ab. Doch selbst die Drogen sind langweilig geworden. Sex ist noch gut, wenn du ihn dann hast.

Ein dauernder Schlaf ist das, wie in Hypnose. Bitte nicht ängstlich sein. Nicht nachfragen. Selbst denken? Nein, einfach weitermachen. Doch wie wache ich dann irgendwann auf?

Ich fühle den Anflug von Aufstand. Doch die Aufstände sind klein und die Systeme sind gigantisch. Der Verkehr fließt weiter und beweist, es gibt hier nichts zu sehen/ändern.

Sorg dich nicht um institutionelle Gewalt, strukturierte Boshaftigkeit, privatisierte Absurdität, grenzenlose Märkte, die Moral ersetzen, medizinische Beruhigungsmittel für Kinder. Sorg dich um die Terroristen. Das ist gefährlich.

Die Meerespegel steigen, die Tiere, Eisbären, Elefanten sind am Aussterben. Hör auf zu schreien. Fang an zu kaufen. Massaker. Massaker, neue Schuhe. So nehmen wir Gewalt wahr.

Live Porno für deine Prä-adoleszenten Teens. Gläserne Wände, keine Kopffreiheit. Wir haben nichts zu verstecken, weil wir nichts zu sagen haben. Oh aber die Happy Hour auf der Highstreet.

[…]

Kate Tempest heißt eigentlich Kate Calvert und ist 30 Jahre alt. Als Lyrikerin, Musikerin und Schriftstellerin ist sie eine der Stimmen ihrer Generation. Ihr musikalisches Debüt gab sie mit ihrem Album Everybody Down, ihr literearisches mit dem im letzten Sommer veröffentlichten Roman Worauf du dich verlassen kannst.  Im Oktober letzten Jahres erschien ihr Hip-Hop-Album Let Them Eat Chaos.

Das ist nicht einfach gewesen. Ständig hämmert mir der metallene Beat im Ohr. Er lässt an rauchende Schornsteine und ununterbrochene Fließbandarbeit denken. Kate Tempest erhellt, macht ratlos und berauscht. Ich sehe Szenen aus dem Video von Europe Is Lost vor mir. Eine gnadenlose Analyse unserer westlichen Gesellschaften, die wohlstandsverwahrlosen und in Konsum verloren gehen. Es bedarf kein Abspielen der CD oder Aufrufen von YouTube. Der Text fasziniert sofort. Er überzeugt von dem Wahrheitsgehalt der Dichtkunst. Überwältigt mit der Intensität von Text, musikalischer Penetration und den Videobildern, die allesamt echte Aufnahmen sind. Sozusagen das Worst Of.

Esther ist Krankenpflegerin, kommt gerade von der Nachtschicht und arbeitet in einem atemlosen Stream of Consciousness die desolate Lage des Landes durch. Es ist 4.18 Uhr in einer Straße ohne Namen irgendwo in London, und sieben Bewohner dieser Straße können nicht schlafen. Sie heißen Gemma, Esther, Alicia, Pete, Bradley, Zoe und Pious, sie sind Pflegerinnen, Arbeitslose, Agentur-Heinis, und sie werden wachgehalten von Angst, Alkohol, Überarbeitung. Es geht von London aus schnell und straight on zu den existenziellen Fragen.

Es geht um Nationalismus, die Angst vor Terror, den immer größer werdenden Einfluss von Rechtspopulisten in Europa und die soziale Vereinsamung trotz Facebook und Tinder, die uns Sozialität nur vorgaukeln: Tempest raubt uns Wohlstandsbürgern die Illusion einer heilen Welt.

 

(Auftakt einer kleinen Serie zu Kate Tempest Musik.)

 

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