Auf ein Wort

 

Karl Kraus polemisiert: »Umgangssprache entsteht, wenn Sie mit der Sprache nur so umgehen; wenn Sie sie wie das Gesetz umgehen; wie den Feind umgehen; wenn Sie umgehend antworten, ohne gefragt zu sein.« Die Klage, Oberflächlichkeit und Verdummung seien auf dem Vormarsch, ist eine alte, und wohl auch von Karl Kraus nicht am besten vorgetragen. Aber mehr als sein Sprachkonservatismus hat wohl die Kritik an der hohlen Phrase Berechtigung. Wo es nichts mitzuteilen gibt, da gibt es auch keine Form, die dem Ausdruck gerecht werden müsste. Die Phrase und das Klischee sind Konsequenz einer Erfahrungsarmut, die durch jene schlecht vertuscht werden soll. Erst wenn sie einen Gedanken unter sich fasst, der sich nicht unter Floskeln bringen lässt, wird Sprache schöpferisch. Menschen, die nur in Klischees reden, wirken auf die Distanz bereits wie erstarrt. Das setzt sich ins Zwischenmenschliche fort. Der Dialog, dessen Sinn es einmal war auf Neues zu kommen, bleibt heute zu oft schal. Wo die Phrase an die Stelle des Gedankens tritt, werden die Sätze zu Spielmarken, die es mit kaufmännischem Starrsinn zu hüten gilt. Der Dialog zersetzt sich heute so weit, dass häufig bereits das in Frage stellen des Gesagten als Angriff auf den Sprechenden gewertet wird. Wer nicht durchgehend für bare Münze nimmt, was gesagt wird, wer nach Begründung oder Herkunft des Geäußerten fragt, der macht sich bereits der Suggestion verdächtig. Der Kern der Meinungsfreiheit liegt aber nicht darin, sagen zu dürfen, was einem beliebt, sondern in der uneingeschränkten Freiheit, die Zustimmung zu verweigern. Die Grenze zwischen privater und öffentlicher Sphäre ist heute kaum noch zu ziehen, und damit macht die Politik nicht mehr Halt vor der Türschwelle. Konformistisch ist heute auch, wer im Privaten nicht vom Politischen sprechen will. Wer bloß nickt und durchwinkt, der betrügt den anderen bereits um das Vertrauen auf Ehrlichkeit. Das Seichte und Unverfängliche soll vor dem Ernst, Stellung zu beziehen, schützen. Verdummung hat auch die Gestalt, dass man sich lieber mit Trivialem auf Linie hält, als sich der Ernsthaftigkeit, und damit dem Risiko zu scheitern, auszuliefern. Es ist schon so nicht einfach, miteinander zu reden, und die Angst vor dem Missverständnis hilft da nicht weiter. Was aber wäre Erotik ohne die Furcht vor der Impotenz?

 

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Autor

Moritz

Autor | Freiburg